In Chinas E-Autoindustrie ist ein gnadenloser Preiskrieg ausgebrochen. Ein Waffenstillstand hat weniger als zwei Tage gehalten.
Kein noch so einfallsreicher Humorist hätte sich eine solche Pointe einfallen lassen können: Elon Musk hat vor kurzem unter der Schirmherrschaft des chinesischen Industrieministeriums einen offenen Brief unterzeichnet, in dem er verspricht, die „sozialistischen Grundwerte“ bei Tesla zu stärken. Offensichtlich musste er die Lektion auf die harte Tour lernen: Wenn Sie auf dem chinesischen Markt überleben wollen, müssen Sie sich den Gesetzen der kommunistischen Partei unterwerfen.
Derzeit ist die Situation nicht nur für Tesla, sondern für die gesamte Branche kritisch. Auf dem chinesischen Markt für Elektroautos, der bei weitem der größte der Welt ist, tobt ein brutaler Preiskampf, der erhebliche Teile der Branche zu zerreißen droht. In diesem Jahr hat der erbitterte Wettbewerb um die Marktführerschaft in der Transportbranche, der noch vor wenigen Jahren als notwendige, gesunde Schrumpfung eines aufgeblähten Marktes angesehen wurde, alarmierende Züge angenommen.
Allein in diesem Jahr wurden in China über 150 neue Automodelle auf den Markt gebracht. Nur eine Handvoll der weit über hundert noch aktiven Startups im Bereich der Elektromobilität in China wird mittelfristig überleben. In den kommenden Monaten dürften zahlreiche von ihnen ihre finanziellen Ressourcen ausgeschöpft haben. Selbst aussichtsreiche Marken wie Xpeng und der in Shanghai ansässige Autohersteller Nio, der versucht, nach Europa zu expandieren, schreiben rote Zahlen.
Volkswagen unter Druck in China
Als traditioneller Automobilhersteller mit festem Standbein im Verbrennersegment hat der deutsche Marktführer Volkswagen keine solchen Existenzsorgen. Trotzdem sind die Wolfsburger jetzt in eine Rabattschlacht verwickelt, die sie eigentlich vermeiden wollten. Die Basisversion des Modells ID.3 ist jetzt in China zu einem Preis von umgerechnet etwas mehr als 15.000 Euro erhältlich, nachdem kürzlich eine aggressive Preissenkung von 16 Prozent vorgenommen wurde. Hier liegt der Preis für ein Elektroauto bei etwa 40.000 Euro.
Die Wolfsburger stehen derzeit unter enormem Druck. Sie haben den chinesischen Markt jahrelang dominiert, aber BYD (Build Your Dreams) verkauft jetzt mehr Autos. Der Paradigmenwechsel wird vor allem durch die Verkehrswende vorangetrieben, bei der die deutschen Autohersteller deutlich im Rückstand sind. Die chinesischen Marken sind technisch vergleichbar, verfügen über ansprechendere Unterhaltungssysteme und sind wesentlich preiswerter als „made in Germany“.
Letzte Woche traf die Branche eine ungewöhnliche Entscheidung, um den Preiskrieg zu bekämpfen: Auf einer Konferenz in Shanghai unterzeichneten 16 Hersteller einen offenen Brief, in dem sie versprachen, „abnormale Preise“ zu vermeiden. Tesla war das einzige ausländische Unternehmen, das die Erklärung unterzeichnete und damit seine Unterstützung für die in der Einleitung erwähnte „Sozialismusklausel“ demonstrierte.
In China verkauft ein chinesischer Hersteller zehnmal so viele Autos wie Volkswagen.
Auch Volkswagen rechnet mit einem Ende des Preiskampfes. Auf dem China Auto Forum in Shanghai sprach China-CEO Ralf Brandstatter von einer „ungesunden Marktentwicklung“ Die Investitionen der Branche während des Preiskriegs seien tatsächlich für langfristige Investitionen notwendig.
Dann bezeichnete Brandstatter den chinesischen Markt als das globale Fitnesscenter der Branche. Wer im Reich der Mitte Erfolg hat, ist auch für das internationale Geschäft gerüstet, so das Sprichwort. Noch ist unklar, ob Volkswagen den Markt weiterhin anführen wird. „Wir müssen härter und häufiger trainieren, um mit der Dynamik des Marktes Schritt zu halten“, sagt der deutsche Manager.
Der Marktanteil von VW im zukünftigen E-Auto-Segment beträgt nur 2,7 %, und zusammen mit den Verkäufen seiner beiden Joint Ventures rangiert das Unternehmen nur auf Platz 10. BYD verkauft derzeit zehnmal so viele E-Antriebs-Pkw.
Wer sich mit Vertretern von Volkswagen in Peking bei einem Feierabendbier unterhält, wird eine deutliche Veränderung der Sprache feststellen. Anfangs wurde die chinesische E-Auto-Offensive mit Spott bedacht, doch später wurden die ersten Erfolge gelobt. In der Zwischenzeit müssen sie zugeben, dass der Spitzenplatz auf dem Markt an die Konkurrenz geht. Jetzt ist es das erklärte Ziel, die Führung unter den ausländischen Autoherstellern zu behalten.
Subventionen und Regulierung von Verbrennungsmotoren sind ein Erfolgsrezept.
Die E-Mobilität hat in China phänomenale Fortschritte gemacht, vor allem dank enormer staatlicher Subventionen und strenger Vorschriften für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Derzeit werden in der Volksrepublik mehr Elektrofahrzeuge verkauft als im Rest der Welt zusammen. Doch die vom Erfolg verwöhnte Branche spürt nun die Auswirkungen des ins Stocken geratenen Aufschwungs im Reich der Mitte nach Corona: Obwohl die Wachstumsraten für Elektro- und Hybridfahrzeuge in den letzten zwei Jahren durchweg im zweistelligen Prozentbereich lagen, fällt die Prognose des staatlichen Automobilverbandes für 2023 mit 36 Prozent recht bescheiden aus.
Das motiviert die Hersteller auch zu einer aggressiven Preisstrategie. Der alarmierende Trend wird sich in den kommenden Monaten fortsetzen, denn der 48-stündige Waffenstillstand zwischen den 16 Autoherstellern war nur vorübergehend. Am Samstag zog die China Association of Automobile Manufacturers (CAAM) den offenen Brief mit der Begründung zurück, dass er möglicherweise gegen das Kartellrecht verstoßen habe.
Ausgerechnet Elon Musk hatte den Chinesen den Gegenwert von 450 Euro zugesichert, wenn sie auf Empfehlung eines bestehenden Tesla-Kunden ein neues Model 3 oder Model Y kaufen.