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Die russische Wirtschaft wächst trotz der Sanktionen. Warum ist das so?

Trotz der westlichen Sanktionen erweist sich die russische Wirtschaft als widerstandsfähiger als erwartet, denn die Industrieproduktion nimmt deutlich zu. Ausgerechnet der Konflikt trägt wesentlich...
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Die russische Wirtschaft wächst trotz der Sanktionen. Warum ist das so?

Trotz der westlichen Sanktionen erweist sich die russische Wirtschaft als widerstandsfähiger als erwartet, denn die Industrieproduktion nimmt deutlich zu. Ausgerechnet der Konflikt trägt wesentlich dazu bei.

Weniger als zwei Wochen nachdem die Söldner von Wagner-Boss Jewgeni Prigoschin Moskau fast überrannt hatten, erhielt der Kreml erneut positive Nachrichten. Präsident Wladimir Putin wurde von der Nachrichtenagentur Tass nach einem Treffen mit seinem Premierminister Michail Mischustin in Moskau mit den Worten zitiert: „Die derzeitige Lage der russischen Wirtschaft ist besser als erwartet, was ein gutes Zeichen für die Erfüllung aller geplanten Aufgaben ist.

Was mit „allen geplanten Aufgaben“ gemeint war, wurde nicht erklärt. Putin sendet ständig die Botschaft, dass „alles nach Plan läuft“, egal ob er über den Krieg in der Ukraine oder die Wirtschaft spricht. In den darauffolgenden Tagen jedoch fand das, was nach zunehmend verzweifelter Staatspropaganda klang, seinen Niederschlag in russischen und internationalen Analysen.

So hat das Wiener Institut für Osteuropastudien (WIIW) gerade seine neueste Wirtschaftsprognose für Russland veröffentlicht. Laut dieser Prognose wird Russland die Rezession bis 2022 überwunden haben und die Wirtschaft des Landes wird voraussichtlich 2023 wieder wachsen. Mario Holzner, der Direktor des WIIW, stellt fest, dass auch die Arbeitslosigkeit auf einem Rekordtief liegt: „Es herrscht nahezu Vollbeschäftigung.“ Zu Beginn des Konflikts sagte das WIIW zusammen mit anderen Instituten voraus, dass die russische Wirtschaftsleistung in den Jahren 2022 und 2023 um mehr als 10 Prozent zurückgehen würde. Die Wirtschaft entwickelte sich deutlich besser (Grafik). Selbst die jüngsten Prognosen könnten zu pessimistisch sein: Die russische Staatsbank VEB hat gerade Daten veröffentlicht, die zeigen, dass die russische Wirtschaftsleistung im Mai 2023 um mehr als fünf Prozentpunkte gegenüber Mai 2022 gestiegen ist. Derzeit produziert die Industrie mehr Güter als vor dem Ausbruch des Konflikts.

Experten wie Janis Kluge von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin halten die Zahlen für glaubwürdig. „Wir sollten uns den Tatsachen stellen, auch wenn sie uns nicht gefallen“, schrieb er auf Twitter.

Wie hat sich Russlands Wirtschaft als so widerstandsfähig erwiesen? Nach Beginn des Angriffs auf die Ukraine verhängte die EU eine Vielzahl von Sanktionen, darunter das Einfrieren russischer Vermögenswerte im Ausland und das Verbot der Einfuhr von russischem Öl, Kohle und Gold nach Europa. Der Export von Mikrochips, Software und Technologie für die Öl- und Gasindustrie in Putins Reich ist verboten. Das Ziel war es, Russlands Wirtschaft zu untergraben. Warum ist dies bisher nicht geschehen?

Krieg als Motiv

Die paradoxe Antwort ist, dass der Konflikt und seine Nachwirkungen derzeit Putins Wirtschaft helfen. „Russland hat seine Kriegswirtschaft in Gang gesetzt“, sagt der Ökonom Mario Holzner. Der einzige Grund, warum die Industrie mehr produziert als vor dem Konflikt, ist, dass das Militär ständig mehr Material nachfragt. Laut einer Analyse der Wirtschaftswissenschaftler der Online-Plattform Re:russia verzeichnen die mit dem Militär verbundenen Industriesektoren ein Wachstum. Dazu gehören die metallverarbeitende und die Elektronikindustrie sowie die optische Industrie und die Hersteller von Navigationsinstrumenten und Schutzkleidung. Den Wirtschaftsdaten zufolge kauft die Regierung immer mehr Ausrüstung und Rüstungsgüter. Der Konsum des Staatssektors ist so stark gestiegen, dass er die Defizite an anderer Stelle, z.B. bei den Exporten von Grundstoffen, kompensiert hat. Darüber hinaus hat die große Zahl der eingezogenen Soldaten und der jungen Männer, die aus dem Land geflohen sind, um den Kämpfen zu entgehen, die offizielle Arbeitslosenquote gesenkt.

Bedeutet dies, dass die russische Wirtschaft floriert? Nein. Erstens reduziert die Produktion von mehr militärischen Gütern die Produktion von zivilen Gütern; mit anderen Worten: Kanonen ersetzen Butter. Außerdem, so Holzner, hat die Qualität der in Russland hergestellten Produkte aufgrund der westlichen Sanktionen wahrscheinlich abgenommen. Dennoch verfügt Russland dank der Öl- und Gaseinnahmen über ausreichende Mittel, um Waren aus dem Ausland zu kaufen; schließlich haben die meisten Länder keine Sanktionen gegen Russland verhängt. Und einige angeschlagene Industrien, wie die russische Industrie, erholen sich ebenfalls.

Einnahmen brechen ein

Die spannende Frage ist, wie lange die Regierung noch frei ausgeben kann, ohne neue Verzerrungen einzuführen. Vergleicht man das erste Halbjahr 2023 mit dem gleichen Zeitraum im Jahr 2022, so sind die russischen Haushaltseinnahmen aus Öl und Gas um fast die Hälfte auf umgerechnet 33,5 Milliarden Euro gesunken. Dies ist auf die sinkenden Einnahmen aus dem Gasverkauf zurückzuführen: Die EU hat russisches Gas weitgehend ersetzt, und die zusätzlichen Mengen, die nach China gehen, gleichen dies nicht aus, so der Russlandexperte Gerhard Mangott. Darüber hinaus macht Moskau der sinkende Rohölpreis zu schaffen. Obwohl das Defizit moderat ist, ist der russische Haushalt defizitär.

Es ist erstaunlich, dass die russische Ölproduktion trotz der Sanktionen stabil geblieben ist und in den letzten Monaten sogar leicht zugenommen hat. Laut einer Analyse auf Re:Russia liegt das daran, dass westliche Technologie schon vor Beginn des Konflikts nur zu 20% an der Ölförderung in Russland beteiligt war. Drei der vier größten Anbieter von Ölfelddienstleistungen haben das Land verlassen. Der US-amerikanische Marktführer SLB ist im Land geblieben.